Themis – die Göttin der Gerechtigkeit

Themis, Göttin der Gerechtigkeit, ist eine Tochter der Gaia und des Uranos und gehört damit zum Göttergeschlecht der Titanen. Deshalb wird sie auch als Titanidin bezeichnet. Ihre Geschwister sind unter anderem der Titan Kronos, der vor Zeus herrschte und dessen Vater ist, sowie Kronos‘ Ehefrau Rhea oder auch Okeanos. Dieser Stammbaum macht Themis auch zu Zeus‘ Tante – Ein Umstand, der Zeus später aber nicht hindern sollte, um ihre Hand anzuhalten, denn Inzest war unter den Göttern üblich.

Themis Wage
Quelle: Ezequiel_Octaviano/Pixabay

Die blinde Göttin der Gerechtigkeit

Themis ist die Göttin der Gerechtigkeit, Sitte und der natürlichen Ordnung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihr Name „Regel der Natur“ oder „Norm des Zusammenlebens der Geschlechter“ bedeutet.
Sie kennt außerdem die Zukunft und ihr Wissen dahingehend übersteigt sogar das von Zeus selbst, was dieser und auch die anderen Götter akzeptieren und anerkennen. Diese Eigenschaften sind es nämlich, die Themis für Zeus so anziehend machen: Ihr Gerechtigkeitssinn und ihre Weitsicht.
Dargestellt wird Themis als wunderschöne Frau mit einer Waage in der einen und einem Schwert oder Füllhorn in der anderen Hand. Außerdem kennzeichnen ihre späteren Darstellungen ihre mit einer Binde verbundenen Augen. Ihre Blindheit steht für Fairness und Unparteilichkeit sowie die Gabe der Prophezeiung, die nicht durch weltliches Sehen gestört werden soll.

Zeus verführt Themis

Themis war laut Hesiod die zweite Ehefrau des Zeus, dem obersten der Olympischen Götter. Sein Interesse an ihr wurde geweckt, weil sie die Göttin der Gerechtigkeit und Moral war und ihm diese Eigenschaften noch fehlten.
Den Scharfsinn und die List erwarb Zeus, als er seine erste Ehefrau Metis verschlang. Themis, die später als Ehefrau von Hera abgelöst wurde, blieb dieses Schicksal jedoch erspart und so wurde sie Zeus‘ erste Beraterin. Oft soll sie neben seinem Thron gesessen und ihn beraten haben. Sie warnte ihn z.B. davor, eine Beziehung mit der Göttin Thetis – der schönsten Meeresnymphe und späteren Mutter des Achilleus – einzugehen, da ein gemeinsamer Sohn mächtiger als Zeus sein und ihn als Herrscher stürzen werde. Die Ehe von Themis und Zeus hielt dennoch nicht lange. Zeus verstieß sie als Ehefrau, behielt Themis allerdings als Beraterin in seiner Nähe.

Themis‘ Töchter: Die Horen

Themis‘ Töchter sind zum einen die Horen, also die Göttinnen, die das geregelte Leben überwachen. Je nach Quelle unterscheiden sich die Anzahl, die Namen und die Zuständigkeiten dieser Göttinnen: Vor allem auf der griechischen Halbinsel Attika mit dem Hauptort Athen nahm man an, dass die Horen in der ersten Generation aus den drei Schwestern Thallo, Auxo und Carpo bestanden. Sie waren die Göttinnen der Jahreszeiten: Thallo bedeutet „Blühen“, sie war die Göttin des Frühlings und die Beschützerin der Jugend. Auxo repräsentiert das „Wachstum“ und Carpo, was so viel wie „Früchte“ heißt, war verantwortlich für den Sommer sowie das Reifen und Ernten. Die drei Horen wurden meist tanzend und mit Blumen oder Früchten dargestellt.
In Hesiods Theogonie werden andere Göttinnen als Horen bezeichnet. Sie heißen dort Eunomia, Dike und Irene und sind die Göttinnen der Ordnung, Gerechtigkeit und des Friedens. Die Bekannteste dieser Töchter war Dike, die im Gegensatz zu ihrer Mutter Themis die strafende und rächende Gerechtigkeit darstellte. Die beiden werden in der römischen Mythologie zu einer einzigen Göttin, der Justitia, „vermengt“.

Themis Tanz der Horen
Quelle: Johann Peter von Langer, Public domain, via Wikimedia Commons

Themis‘ Töchter: Die Moiren

Die Moiren sind ebenfalls Töchter von Themis und Zeus. Wahrscheinlich kennst du sie eher als Schicksalsgöttinnen oder aus der römischen Mythologie als Parzen. Sie sind die einzigen, deren Macht von den Göttern und sogar von Zeus selbst machtvoller als seine eigene angesehen wird: Sie wachen und entscheiden nämlich über das Schicksal und die Lebenszeit jedes Sterblichen. Dazu spann die Jüngste der Moiren, die Fadenspinnerin Klotho, bei der Geburt einen Faden, den sogenannten Lebensfaden. Lachesis, die Mittlere der drei Moiren, bemaß daraufhin die Länge jedes einzelnen Fadens, den Klotho gesponnen hatte und Atropos, die Unabwendbare und älteste Schwester hatte als Zerstörerin die Aufgabe inne, den Faden zu durchtrennen. Ihre Aufgabe war es zudem, die Todesart eines Menschen zu wählen.
In einer anderen Version des Mythos – du merkst sicher schon, dass es nicht DEN einen wahren Mythos gibt – sind die Moiren die Töchter der Göttin der Nacht, Nyx genannt. In dieser Version sind sie es, die dafür sorgen, dass Themis Zeus zunächst als Ratgeberin und dann auch als Ehefrau beisteht.

Themis Schicksalsgöttinnen Parzen
Quelle: Rijksmuseum, CC0, via Wikimedia Commons

Das Orakel von Delphi

Am Fuße des Berges Parnass gelegen befand sich das berühmte Orakel von Delphi, die wichtigste Weissagungsstätte des antiken Griechenlandes. Seine Bedeutung wurde noch dadurch verstärkt, dass dieser Ort lange Zeit als Mittelpunkt der Welt galt: Zeus hatte einst zwei Adler losfliegen lassen, die sich genau an diesem Ort trafen. Die erste Schutzherrin dieses besonderen Ortes war die Erdmutter Gaia selbst. Dort gebar sie, so der Mythos, einst die Schlange Python, die hellseherische Fähigkeiten besaß. Als Apollon Python später aus Rache dort tötete, übertrugen sich die hellseherischen Fähigkeiten auf den Ort. Themis übernahm das Orakel von Gaia als zweite Schutzherrin und als ebendiese half sie Deukalion und Pyrrha nach der von Zeus gesandten Sintflut:

Themis – Göttin der nach-sintflutlichen Schöpfung

Erschrocken über die Verdorbenheit der Menschheit, sandte Zeus einst die Sintflut, um das menschliche Geschlecht auszulöschen. Anlass hatten ihm die Freveltaten der Menschen gegeben, die er so nicht mehr hinnehmen wollte. Alles wurde von den Fluten und dem anhaltenden Regen überschwemmt und alle Menschen starben. Alle bis auf das fromme Ehepaar Deukalion und Pyrrha, der Sohn des Prometheus und König von Thessalien sowie dessen Ehefrau und Schwester. Prometheus hatte Deukalion vor der Flut gewarnt und ihm geraten, ein Boot zu bauen, auf dem sie 9 Tage ausharrten und überlebten. Zeus erbarmte sich und schickte den Nordwind, um die Wolken fortzuwehen, und die Wogen der Meere glätteten sich.
So strandeten Deukalion und Pyrrha auf dem Berg Parnass und bemerkten, dass sie die einzigen Überlebenden waren. Verzweifelt suchten sie den Tempel der Themis auf, um Rat von ihr zu erbitten, wie sie die Erde wieder bevölkerten könnten. Themis gab ihnen den Rat, die Knochen der Mutter hinter sich zu werfen. Deukalion und Pyrrha, die sehr fromm waren, waren über diesen Frevel zunächst entsetzt, begriffen dann aber, dass mit Mutter, Gaia, die Muttererde, und mit Knochen die Steine auf der Erde gemeint waren. Daher begannen sie Steine über ihre Schulter hinter sich zu werfen, aus denen neue Menschen entstanden.

Themis Deukalion und Pyrrha
Quelle: Rijksmuseum, CC0, via Wikimedia Commons